Alfred Bergmann
Steckenpferd und Lilienmilchseife
Alfred Bergmann zum 150. Geburtstag
Wie es wohl in einer Fabrikhalle für Seifen und Parfüm geduftet haben mag? Fein-zart wie die berühmte Lilienmilchseife, blumig-floral wie der beginnende Wonnemonat, oder vielleicht herb-frisch wie das Kölnisch Wasser? Vielleicht auch nach Palmin, Maschinenöl und Parfümalkohol? "Die Seife ist ein Maßstab für Wohlstand und Kultur der Staaten." Das wusste nicht nur Justus von Liebig. 1885 wurde von Bruno Bergmann die Seifen- und Parfümfabrik Bergmann &.Co in Dresden gegründet. Dessen Neffe, Alfred Bergmann, vor 150 Jahren am 16. Mai 1864 in Zittau geboren, schloss sich 1891 als Mitinhaber an, nachdem er eine kaufmännische Ausbildung in Frankfurt am Main und Berlin abgeschlossen hatte.
Inzwischen fand die Fabrik im östlichen Teil des aufstrebenden Radebeul an der Meißner Straße einen neuen Standort, wo sie prächtig gedieh. Davon zeugte nicht zuletzt der Aufbau von Tochterunternehmen im damaligen Österreich-Ungarn, in Russland, Belgien, Holland oder der Schweiz. Neben Bade-, Kinder- oder Waschseifen, Haar- Gesichts- und Rasierwassern, Barthaar-Färbemitteln sowie Duftflacons avancierte die 1915 auf den Markt gebrachte Lilienmilch-Seife mit ihrem umhüllenden sanft-duftenden Schaum schnell zum Verkaufsschlager. Einer jeden Frau sollte diese Seife zum persönlichen Steckenpferd aufsteigen - das Firmenlogo, zwei gekreuzte Pferdchen, mittig die Lilienblüte, war gefunden und verhalf der Fabrik zu großem Absatz. Dieser Erfolgsgeschichte jedoch funkte der Ausbruch des 1. Weltkrieges dazwischen (welcher sich 2014 zum 100. Mal jährt). Zwar schien die Herstellung einer gehaltvollen Seife aufgrund des Mangels an Fetten kaum möglich, dennoch entschied ein Kriegsausschuss die Produktion beizubehalten, jedoch in minderwertiger Qualität.
Das Ergebnis wurde im Volksmund doppelbödig in "Kriegs-Ausschuss-Seife" umgedeutet. Immerhin floss die Duftwasserfabrikation nahezu gleichbleibend weiter. Auch im 2. Weltkrieg sollten Fette eher die Ernährung der Menschen sichern, denn die Körperpflege, und auch hier verließ auf Order der "Reichsstelle für industrielle Fettversorgung" (RiF) ein sandpapierartiges Pendant niederer Güte die Werkhallen, welches die Bevölkerung hintersinnig in "Reinlichkeit ist Frevel" (ein alternatives Wortspiel war "Reinigung ist fraglich") umtaufte und eher zum Körperpeeling taugte. Obgleich beide Kriege das Betriebsgelände verschont hatten, erlitt der Absatzmarkt einen Tiefpunkt. Außerdem waren die Tochterfabriken in Holland, Belgien und Tschechien verloren. Weiterhin verließen kurz nach der Gründung beide designierte Inhaber die DDR Richtung Westdeutschland, von wo aus sie das Radebeuler Werk weiterzuführen suchten, jedoch nicht an alte Erfolge anzuknüpfen vermochten. Jene wurden erst wieder nach 1955 verzeichnet, nachdem das Unternehmen in DDR-typische Strukturen gepresst und zusammengelegt mit der Raseifa zum VEB Steckenpferd umgewandelt wurde.
Alfred Bergmann starb 1928 an den Folgen eines Schlaganfalles. Im Nachruf heißt es "In unsrem Alfred Bergmann glühte nur ein Wollen: Seine Firma zu einer führenden in Deutschland zu machen" Nicht nur mittels des einprägsamen Firmenzeichens trug er tatkräftig zum Verkauf der Produkte bei, überhaupt lag sein Fokus früh auf den Bereichen Werbung und Marketing, sodass Angebot und Nachfrage stetig wuchsen. Er schaltete Anzeigen in Presse und auf Werbetafeln, brachte Werbemarken mit Märchenthemen oder klassischer Literatur in Umlauf, sogar ein firmeneigenes Musikstück, der Schlager "Mein Steckenpferd" von C. Alfredy, wurde speziell komponiert. So zeigte sich sein Streben zumindest über mehrere Dekaden erfüllt: in jeder Apotheke Deutschlands gab es Steckenpferd zu kaufen, bis in den Orient. 1902 erhob der sächsische König die Fabrik offiziell in den Status eines Hoflieferanten.
Doch jede Historie schreibt ihre eigenen Gesetze. Irgendwann versiegte auch diese Erfolgsgeschichte Radebeuler Industrie und kurz nach der Wende mit ihren "Abwicklungen" existierte Steckenpferd ab 1991 nicht mehr. Heute befindet sich auf dem ehemaligen Firmengelände ein Lebensmittel-Discounter.
Maren Gündel, Stadtarchiv
Erschienen in: Amtsblatt Mai 2014