Traubensegen und Weinpoesie - Die Winzerfeste der Lößnitz im Zeitraffer
In der Frühen Neuzeit, als sich die Weinreben von den Hochlagen der Lößnitz bis weit ins Flachland erstreckten, bedeutete Weinbau vor allem eines: harte Arbeit. Hatte man es ohne Eskapaden über die Saison geschafft, galt es, die aus den umliegenden Dörfern als Erntehelfer in die Weingebiete befohlenen Frohndienstler zu organisieren. Die Rebenfelder erstreckten sich da noch vom Hochland bis hinunter ins elbnahe Flachland. Die Zustände empfanden da zum Teil nicht nur die Zwangsarbeiter als eine Last. In Kombination mit den an sich schon unsicheren Ernteaussichten war den hiesigen Weinbauern der vergangenen Jahrhunderte rund um die Erntezeit entsprechend wenig nach goldbekränzter Feierei und romantischer Weinpoesie zu Mute. Jedoch gehörten die Lößnitzhänge zumeist zum Besitz der Kurfürsten bzw. adliger Bergherren, die es wiederum gern sahen, wenn ihnen zu Ehren um den Tisch getanzt wurde. So geschehen 1715, als August der Starke das erste Mal in der Hoflößnitz zur Traubenernte aufspielen ließ. Lößnitzer und Cossebauder Hofwinzer bildeten einen bunten Aufzug, der zur Huldigung des Landesoberhauptes und seiner Gäste fröhlich die kurfürstliche Tafel umkreiste. Gleiches fand 1727 erneut statt, diesmal bereits mit 54 Teilnehmern, sowie noch einmal 1746. Hier entstand die erste bildhafte Überlieferung des "Winzer- und Bauernaufzug" durch Maler J. C. Jünger. Die Kalebstraube als biblisches Symbol war schon vom ersten Augenblick Teil der Motivik. Die Einbeziehung verschiedener Berufsgruppen und Volksschichten diente dem Regent zur Repräsentation. Hinzu kamen Elemente der griechisch-römischen Mythologie, wie Bacchus, Venus oder Cupido. Bis 1788 wurden in dieser Weise hinter verschlossenen Toren der Hoflößnitz fürstliche Winzerfeste begangen.
1840 brauchten sich die Leute dann nicht mehr als Zaungäste die Nasen platt zu drücken. Ein Volksfest wurde es und sollte sowohl der "Ermutigung der Winzer" als auch zur "Prüfung sämtlicher im Lande bekannten und cultivierten Trauben" dienen, um den "besten Sorten Anerkennung zu verschaffen". Der farbenfrohe Festumzug, den Maler Moritz Retzsch künstlerisch der Nachwelt überlieferte, bestand aus einer allerlei WinzerInnen, Bacchanten, Musikanten, Tänzern, Handwerkern sowie herausgestellten Persönlichkeiten, und führte zudem als neues Motiv einen Wagen der erst seit Kurzem eröffneten "Fabrik für moussierende Weine" mit sich. Von der Hoflößnitz aus schlängelte sich die Menschentraube durch die Straßen bis zur "Goldenen Weintraube", wo bereits die königliche Familie zu Festessen, Ausstellung, Verkostung und Tanz eingetroffen war.
Doch in diesen ausgelassenen Reigen schlich sich unbemerkt eine kleine Laus, die ungeachtet ihrer geringen Körpergröße in den kommenden Jahren einen derart enormen Schaden anrichtete, der fast den gesamten hiesigen Weinbau zum Erliegen gebracht hätte. Doch die Winzer waren aus einem harten Holz geschnitzt, ließen sich weder ihre Rebstöcke, noch die Weinfeste nehmen. Noch bis 1891 fand ein solches statt und es hieß, dass dazu "in allen Lößnitzortschaften ein Verkehr herrschte wie nur selten in diesem Sommer. In den bekannten Weinstuben war zwar oft kein Platz zu bekommen, aber alle warteten, denn ohne ein Gläschen [] wollte man nicht heim gehen." Allein- die Reblaus wütete, und so musste man tatsächlich bis 1924 warten, bis es gewagt werden konnte, erneut einen großen Festumzug zu gestalten. Allen Schwierigkeiten zum Trotz wurde es ein herausragendes Winzerfest der Lößnitz mit allein 50 Motivwagen und über 1000 Mitwirkenden. Groß und Klein, Einheimische und Auswärtige, alles war auf den Beinen. Ein filmisches Zeitdokument gibt wunderbare Einblicke in dieses Ereignis und kann im Stadtarchiv angeschaut werden.
Das Rad der Geschichte drehte sich weiter und die Welt drohte wieder einmal gänzlich unter die Räder zu kommen. 1956 besann man sich auf das kulturelle Erbe und organisierte ein Fest unter dem Motto "Zur Wiederbelebung der traditionellen Winzerzüge in der Lößnitz" sowie 1964 "Zur Förderung des Weinbaus und des Weinkonsums". Bildhaft wurde die Geschichte des alten und neuen sächsischen Weinbaus gezeigt; Fürsten und Herolde in Kostümen zu Pferde. Handwerkliche und landwirtschaftliche Berufsgruppen wurden vorgestellt, historische Personen zum Leben erweckt. Selbst die Reblaus fehlte nicht und immer dabei die Kalebstraube. Im Zug 1965* zur "Völkerfreundschaft" kamen u.a. Winzer und Vertreter aus anderen Weinländern, mit Blumen geschmückte Stadtwappen und die Friedenstaube hinzu. Die DDR nutzte solche Volksfeste schließlich sukzessive zur Selbstdarstellung. Zum historischen Winzerfestumzug anlässlich des 20. Jahrestages 1969* wurde noch ein Mal alles aufgefahren was die Lößnitz zu bieten hatte, der Weinbau war dann nur noch ein Teil des großen Bilderreigens, der Industrie, Gewerbe, Schulen, Vereine, Landwirtschaft, Sport und vieles mehr in sich vereinte.
Zwar gab es in den Folgejahren immer wieder Winzerfestzüge, aber an diese Größe gelangte keiner mehr heran. Seit 1991 wird jährlich in Altkötzschenbroda das Herbst- und Weinfest begangen. Und in jüngerer Zeit knüpft auch die Hoflößnitz wieder an die Tradition der Winzerumzüge an - dieses Jahr am 04. Oktober mit einem Doppel-Jubiläum: "300 Jahre Sächsischer Winzerzug und 25 Jahre Deutsche Einheit"! WinzerInnen aus allen Deutschen Weinbaugebieten sollen vertreten sein. Über 1000 Darsteller auf 5km erwarten 50 000 Besucher. Es verspricht ein bedeutendes Ereignis zu werden, das nicht nur auf dem Zeitstrahl der Lößnitz-Winzerzüge einen besonderen Platz einnimmt, sondern auch im Kulturgedächtnis der Stadt.
Maren Gündel Stadtarchiv
* Die DVD "Winzerzüge 1965/1969" ist für 14 im Stadtarchiv erhältlich
Erschienen in: Amtsblatt Radebeul, September 2015