Otto Julius Bierbaum

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Otto Julius Bierbaum

Schiff Ahoi und ab in den Urlaub mit der Yankeedoodle und Otto Julius Bierbaum

Stellen Sie sich vor, Ihr Arzt rät Ihnen folgendes:

"Kaufen Sie sich einen Schiffskoffer und stellen Sie die Amphitriten [Meeresnymphen, d.V.] auf die Probe. Ihre Zukunft liegt auf dem Wasser, das Salzgehalt und im Salz Brom hat. Speien Sie einmal kräftig aus und trinken Sie so viel Sonnenlicht wie möglich. Aber, ich beschwöre Sie, lassen Sie alles Schreibgerät zu Hause, denn [] der Federhalter ist die gefährliche Balancierstange, mit der Sie sich bisher auf dem Nervenseil im Gleichgewicht gehalten haben."

Dieser Einstieg findet sich im farbenfrohen Reisetagebuch "Die Yankeedoodle-Fahrt" des vergessenen literarischen Kulturgenies Otto Julius Bierbaum, der diesen Monat seinen 150. Geburtstag feiert. Am 28.06.1865 wurde er in Grünberg/Niederschlesien in eine Gastronomie- und Konditorenfamilie geboren. Da sein Vater in Leipzig in der Petersgasse ein Wirtshaus eröffnet hatte, schickte er seinen Sohn zur schulischen Ausbildung ans Thomasgymnasium. Doch scheinbar galt Otto Julius bereits im Kindesalter als umtriebig, eigensinnig und widerborstig - Eigenschaften, die sich in seinem späteren Kulturschaffen noch wahrhaft als Gaben erwiesen sollen. Die angestrebte Verfeinerung des Geistes im Freimaurerinstitut Dresden-Neustadt stellte sich daher als Trugschluss heraus: es hatte, so berichtet er, "junge Knaben, die zu Hause schwer zu glätten sind, zu wohlpolierten Jünglingen zu biegen."

Die vielfältigen Interessen des Tausendsassas schlugen sich nicht nur in den Studienfächern Jura, Philosophie, Germanistik und sogar Sinologie nieder, auch eine damit verbundene Reiselust zeigt sich in Besuchen der Leipziger, Züricher, Münchener und Berliner Universität. In München sucht er sich als Schriftsteller und Journalist zu professionalisieren, schreibt Feuilletons und Rezensionen, macht sich als eindrucksvoller Lyriker einen Namen, gründet die Gesellschaft für modernes Leben und gibt mehrere Literaturzeitschriften heraus. Bald gilt er als einer der bedeutendsten Vertreter der Münchner Moderne.

Besonders die Satire hatte es ihm angetan. Das geflügelte Wort "Humor ist, wenn man trotzdem lacht" - für manche gar ein Lebensmotto - stammt aus seinem Munde. Er konzipierte Kabarettstücke und seine Biographie von 1897 setzt Maßstäbe fürs literarische Varieté.

Doch nicht nur hier agiert er als Vorreiter. Mit auffälliger Hingabe reformierte er Buchgestaltung und Typologie. Doch damit nicht genug, er schrieb Liedtexte und Chansons, viele davon hochkarätig vertont und legt mit der Kunstzeitschrift "Die Insel" den Grundstein für den sich später daraus formenden Traditionsverlag.

Mit nur 45 Jahren verstirbt er am 01. Februar 1910 an einem Nierenleiden. Oft findet man, basierend auf der unrichtigen Angabe eines Nachrufes, "Dresden-Radebeul" bzw. andernorts auch "Dresden-Kötzschenbroda" als Sterbeort. Das ist jedoch falsch, er verschied in Dresden und fand auf dem Münchner Urnenfriedhof seine ewige Ruhestätte.

Trotz seines reichen kulturellen Wirkens ist das Literaturmultitalent Otto Julius Bierbaum in Vergessenheit geraten. Mit dem Yankeedoodle-Reisebericht erschien 1909 der letzte seiner damals weitverbreiteten, auflagenstarken Bücher. Das Zitat: "Reisen statt rasen" entsprach ganz seiner Lebensdevise für einen offenen und bewussten Umgang mit Menschen und Dingen, gegen Arroganz und Intoleranz. Zwar liebte er vor allem Auto-Rundfahrten, hier jedoch musste er ein Salonschiff besteigen, das ihn und seine aus Italien stammende Gattin einmal rund um das Mittelmeer schipperte. Dass der Wellengang nicht jedem Mitreisenden bekam, und wie dem geschickt Abhilfe geleistet werden konnte, zeigt ein kleiner Einblick:

"Meine Frau, frisch wie immer, wurde plötzlich gelb im Gesicht. Dann grün. Dann sagte sie: mal di mare. Ich beeilte mich augenblicklich, das Mittel dagegen anzuwenden, das immer probat ist, wenn man weiß, dass man in zehn Minuten festen Boden unter den Füßen hat: ich lachte sie aus. Sie wurde wütend. Die Krankheit war behoben."

Ob Seekrankheit oder nicht, wer in diesem Sommer physisch nicht verreisen kann bzw. will, dem sei diese temperamentvoll-hintersinnige Lesereise vorbei an Genua, Monte Carlo, Korsika, Syrakus, Baalbek, Jaffa Jerusalem und Konstantinopel ans Herz gelegt!

Maren Gündel, Stadtarchiv

Erschienen in: Amtsblatt Radebeul Juni 2015